Terror im indischen Varanasi

Anschlag auf Hindu-Heiligtum schürt Sorge vor religiösen Unruhen

  • Hilmar König, Delhi
  • Lesedauer: 3 Min.
Mehrere Bombenanschläge von mutmaßlichen islamistischen Terroristen in der indischen Stadt Varanasi forderten zahlreiche Todesopfer. Der indische Premier Manmohan Singh rief die Bevölkerung zu Besonnenheit auf. Bislang kam es nicht zu den befürchteten Auseinandersetzungen zwischen Hindus und Moslems.
Eine Hochzeitszeremonie war im vollen Gange. Hunderte Gäste und Schaulustige wohnten der Trauung im Sankatmochan-Tempel bei. Zudem waren viele Gläubige zur Abendandacht in das Heiligtum gekommen. Dann detonierte ein Sprengsatz. Zahlreiche Anwesende wurden verletzt oder getötet. Eine Viertelstunde später explodierten auf dem elf Kilometer entfernten, mit Passagieren überfüllten Bahnhof von Varanasi, zwei weitere Bomben. Außerdem entdeckte und entschärfte die Polizei mehrere Sprengkörper auf einem Markt. Damit war klar, dass es sich um koordinierte Anschläge handelte. »Es waren geplante und von langer Hand vorbereitete Attacken«, äußerte ein Beamter des Innenministeriums in Delhi. Nach offiziellen Angaben wurden 14 Menschen getötet. Unbestätigten Medienberichten zu Folge starben sogar 20 Menschen. Die Zahl der angegebenen Verletzten schwankt zwischen 50 und 100. Auch wenn sich bisher keine Gruppe zu dem Verbrechen bekannt hat, fällt der Verdacht auf Mitglieder der militanten islamischen Lashkar-e-Toiba, die bereits mehrfach ähnliche Anschläge in verschiedenen Teilen Indiens ausgeführt hat. Beispielsweise töteten ihre Anhänger vergangen Oktober bei Attentaten auf zwei Märkten in Delhi 60 Menschen. Die extremistische Gruppe hat ihre Wurzeln in Pakistan. Dort ist sie inzwischen verboten und operiert jetzt vom nördlichen Indien, vom Unionsstaat Jammu und Kaschmir, aus. Mit dem Sankatmochan-Tempel, der dem Hindu-Gott Hanuman gewidmet ist, wurde eines der bedeutendsten Hindu-Heiligtümer angegriffen. In Varanasi, die als heilige Stadt gilt, halten sich gegenwärtig, wenige Tage vor einem bedeutenden religiösen Fest, noch mehr Pilger als gewöhnlich auf. Nahezu einmütig äußerten Politiker aller Schattierungen, die Täter wollten mit ihren Terroranschlägen den Frieden zwischen den Glaubensgemeinschaften stören. Sie appellierten an die Bürger, sich nicht zu Gewalt gegen Angehörige andere Konfessionen aufstacheln zu lassen. Nur die Indische Nationpartei Bharatiya Janata (BJP) machte den Schuldigen im vornehmlich muslimischen Pakistan aus. »Die Menschen in Indien werden sich solange nicht sicher fühlen, bis die terroristische Infrastruktur jenseits der Grenze völlig zerstört ist«, sagte ein Sprecher. Bislang kam es jedoch zu keinen religiösen Auseinandersetzungen. Dafür sorgt ein beträchtliches Polizeiaufgebot in den größeren Städten. Doch erschossen gestern Sicherheitskräfte drei mutmaßliche Mitglieder der Lashkar-e-Toiba in Lucknow, der Hauptstadt des indischen Unionsstaates Uttar Pradesh. Bei der folgenden Untersuchung fand die Polizei Waffen und Sprengstoff. Erst am Freitag voriger Woche war es nach Protesten gegen den Besuch von US-Präsident George Bush zu schweren Unruhen zwischen Muslimen und Hindus gekommen, in deren Folge vier Menschen starben Ein Beispiel dafür, dass es in Indien gewöhnlich nur eines vagen Anlasses bedarf, um religiöse Leidenschaften in brutale Gewalt ausarten zu lassen. Die so oft gepriesene »religiöse Harmonie und Toleranz« im multireligiösen Vielvölkerstaat steht auf tönernen Füssen. So rissen am Freitag hinduistische Fanatiker eine Moschee nieder, weil sie ihrer Auffassung nach ein »illegales Gebäude« war. Diese Ansicht reichte aus, einen Mob zur Zerstörung des Gotteshauses, zum anschließenden Stürmen einer Polizeistation sowie zum Plündern und Brandschatzen zu mobilisieren. Und in Ladakh, einer mehrheitlich buddhistischen Region im indischen Teil Kaschmirs, lieferte ein auf der Straße liegender Koran im Februar die Initialzündung für heftige, gewalttätige Zusammenstöße zwischen Muslimen und Buddhisten.
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